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Verletzlichkeit – der Schlüssel zu einem erfüllten Leben

Verletzlichkeit – der Schlüssel zu einem erfüllten Leben

Meine Quintessenz aus Brené Browns Buch «Verletzlichkeit macht stark»


Das Buch ist keine Neuerscheinung, es ist seit mehr als 10 Jahren auf dem Markt. Ich habe es aus dem Regal gezogen, um es erneut zu lesen. Das Buch gehört für mich zur Sorte Bücher, die enorm wertvoll und lebensverändernd sind. Der Inhalt ist sowohl für mein Leben als auch für unsere Gesellschaft hoch relevant und aktuell. Es ist ein Buch über unsere Schutzmechanismen. Über Scham und Verletzlichkeit. Brené Brown, amerikanische Bestsellerautorin und Scham-Forscherin, wollte der Frage auf den Grund gehen, wie Leben aus vollem Herzen möglich ist und wurde überrascht, wohin sie diese Frage führte. Ich möchte dir einige zentrale Gedanken daraus mitgeben und dich vor allem «gluschtig» machen, das Buch selbst zu lesen und deinen Umgang mit Verletzlichkeit zu überdenken. Falls du dich das fragst: Der christliche Glaube wird im Buch nicht thematisiert. Doch die Inhalte lassen sich sehr gut ins Grundverständnis einbetten, dass Gott uns auf eine authentische Beziehung hin geschaffen hat.

Wir alle sehnen uns nach Verbundenheit

Die Autorin kommt zum Schluss, dass Verbundenheit – das Erleben von Zugehörigkeit, von emotionaler Nähe – ein wesentlicher Faktor eines Lebens aus vollem Herzen ausmacht. Und wie entsteht Verbundenheit? Durch das Zulassen von Verletzlichkeit. Doch dabei gibt es einen Haken: Die Scham blockiert immer wieder Verletzlichkeit und schürt dagegen Perfektionismus, Rückzug und Angst.

Verletzlichkeit zulassen

Verletzlichkeit bedeutet, sich emotional zu exponieren. Also ein gewisses Risiko einzugehen und sich emotional zu zeigen. Z.B. gibt eine Führungskraft zu, dass sie die Lösung des Problems nicht kennt und bittet um Unterstützung. Oder meine Freundin erzählt mir von ihren inneren Kämpfen. Eine Nachbarin bittet um Hilfe. Oder ich als Referentin spreche in meinem Referat von schwierigen Erfahrungen. Doch auch die Worte eines Verliebten – «Ich liebe dich» – sind ein Ausdruck von Verletzlichkeit. Es gibt keine Garantie, dass die Liebe erwidert wird. Es ist ein Risiko, sich zu zeigen. Ich kann nicht wissen, wie das Gegenüber reagiert. Indem ich offen und ehrlich bin, mache ich mich angreifbar und verwundbar.

Sich verletzlich zu zeigen, braucht Mut. Risikobereitschaft. Offenheit für das, was daraus entsteht. Das Zulassen von Verletzlichkeit ist die Grundlage dafür, dass wir Verbundenheit erleben können. Tiefe Beziehungen entstehen nicht dadurch, dass wir perfekt sind, sondern durch Offenheit und Unvollkommenheit.
Damit wir uns verletzlich zeigen können, braucht es Vertrauen ins Gegenüber. Vertrauen entsteht aber, indem wir uns verletzlich machen. Da spüren wir: Es ist eine Gratwanderung. Das herausspüren, wann es dran ist, einen Schritt weiter zu gehen und wann ich mich auch schützen darf und soll. Doch klar ist: Ohne Risikobereitschaft, ohne diesen Schritt zur Komfortzone heraus, entsteht keine Verbundenheit.

Die Attacke der Scham

Spannend finde ich: Jeder schätzt es, wenn sich das Gegenüber verletzlich zeigt. Wenn der Referent in sein Herz blicken lässt. Wenn die Freundin von ihren Nöten erzählt. Aber jeder kämpft damit, sich selber verletzlich zu zeigen. So schnell kommt da die innere Stimme der Scham, die flüstert: «Das kannst du doch nicht sagen, was denken die auch…» oder «Die verstehen das eh nicht…» oder «Was hast du schon zu sagen…». Es kann auch sein, dass ich das Risiko eingegangen bin, mich verletzlich gemacht habe, etwas gesagt oder getan habe, doch es erfolgte keine Reaktion. Oder ich wurde zurückgewiesen. Was geht da innerlich ab? Sind wir nicht sehr schnell dabei, uns in Frage zu stellen? «Du hast zu viel gesagt…» oder «Vielleicht wird das falsch verstanden?» oder «Du musst besser…» usw. In diesen Situationen flüstert uns die Scham sehr schnell ein, dass wir nicht gut genug sind. Dass wir falsch sind. Vielleicht sogar keine Daseinsberechtigung haben.
Brené Brown beschreibt die Scham als «das schmerzhafte Gefühl oder die schmerzhafte Erfahrung zu glauben, dass wir fehlerhaft sind und deshalb keine Liebe und Zugehörigkeit verdienen». So ist Scham ein tiefer emotionaler Schmerz, der uns unweigerlich in einen Überlebensmechanismus führt, weit entfernt von einem Leben aus vollem Herzen.
Laut Brown können wir Verletzlichkeit nur zulassen, wenn wir die Scham überwinden. Wir können uns nicht vor anderen zeigen, wenn wir Angst davor haben, was sie von uns denken könnten. Oder wenn wir denken, wir sind falsch und nicht gut genug.

Kultur des Mangels

In unserer Gesellschaft leben wir eine Kultur des Mangels. Im «Nie genug»-Modus. Wir sind nie genug erfolgreich, lieb, schön oder sicher genug. Der beste Nährboden für Scham! Unsere Leistungs-Gesellschaft vermittelt, dass wir sind, was wir leisten, was andere über uns denken oder was wir besitzen. Dies treibt uns in ein stetiges Streben nach Mehr, in Perfektionismus und schlussendlich Angst.

Schutzschilde gegen Verletzlichkeit

In ihren Forschungen entdeckte Brené Brown drei Haupt-Schutzschilde gegen Verletzlichkeit:

Schutzschild 1: Seiner Freude nicht trauen.

Statt dass wir uns von Herzen über etwas freuen, haben wir Angst, dass die Freude nicht hält. Es könnte ja noch etwas geschehen. Es könnte dieses oder jenes Szenario eintreffen. Sich auf das Schlimmste gefasst machen. Denn: Wenn wir der Freude nachgeben, lassen wir Verletzlichkeit zu!
Ups, ich finde mich wieder. Nur ja nicht auf den Urlaub freuen, es könnte ja noch etwas dazwischen kommen… Nicht die Genesung von einem Leiden feiern, denn es könnte ja einen Rückfall geben… Mit dieser Haltung raube ich mir ganz viel Freude. Ja, ich fühle mich vielleicht verletzlich, wenn ich mich freue, aber eigentlich ist es das wert.
Gegenmittel: Dankbarkeit. Kleine Augenblicke geniessen. Mir erlauben, Freude zu empfinden, ganz unabhängig davon, was nachher kommt.

Schutzschild 2: Perfektionismus

Perfektionismus hat meist das Ziel, Scham und Schmerz zu vermeiden. Auf den ersten Blick könnte man meinen, es gehe bei Perfektionismus darum, eine Verbesserung zu erreichen oder das Maximum herauszuholen. Doch viel mehr steht im Fokus, Bestätigung zu erhalten und die Kontrolle zu haben. Und da ist ganz viel Angst drin. Angst vor dem Versagen, Angst, nicht den Erwartungen zu entsprechen. So ist Perfektionismus selbstzerstörerisch, denn er stellt stets eine unerreichbare Messlatte auf: Ich kann nicht kontrollieren, wie ich wahrgenommen werde. Merkst du, wie da auch wieder dahintersteht «Ich bin nicht gut genug»?
Viele von uns haben gelernt, uns über Leistung Anerkennung zu holen. Diese Muster haben wir uns als Kinder angeeignet, sie erfüllten damals ihren Zweck. Doch nun hindern sie uns daran, Verletzlichkeit zuzulassen und Verbundenheit zu erleben. Übrigens kappt Perfektionismus jegliche Kreativität.
Gegenmittel: Selbstmitgefühl. Mir zusprechen: «Ich bin gut genug. Ich bin wertvoll.» Statt ständig zu überlegen, was die anderen denken. Dies geht aber nur, wenn ich mit mir selbst und meiner Geschichte versöhnt bin. Wenn ich bereit bin, innezuhalten und die Schönheit meiner Kratzer und Risse zu akzeptieren, wie Brown so schön schreibt. Ich bin Mensch, wie alle anderen auch, und ich darf menschlich sein. Und so darf ich freundlicher und sanfter zu mir und anderen werden, statt zu kritisieren und verurteilen. Auf diesem Weg braucht es ein achtsames Hinschauen und Erkennen, was in mir vorgeht. Weisst du was? Ich finde das gar nicht so einfach zu lernen und umzusetzen. Aber glaub wirklich heilsam…

Schutzschild 3: Emotionale Betäubung

Nicht nur durch das Einnehmen von Substanzen wie Alkohol, Drogen und anderes ist emotionale Betäubung denkbar. Ich denke da auch an Medienkonsum, durch Social Media scrollen, essen, arbeiten, Aktivitäten etc. Der heutige Mensch neigt sehr dazu sich zu betäuben, um dem Gefühl von Instabilität und Unzulänglichkeit zu entkommen. Und um die unangenehmen Gefühle wie Scham, Angst und das Gefühl mangelnder Verbundenheit wegzudrücken. Es mag zwar kurzfristig den Schmerz dämpfen, wenn wir Verletzlichkeit betäuben, doch gedämpft werden auch die anderen Gefühle: Die Fähigkeit Freude, Liebe, Zugehörigkeit, Kreativität und Empathie zu empfinden, schrumpft. Die ungesunden Bewältigungsstrategien bringen uns keinen Schritt weiter auf dem Weg zu einem Leben aus vollem Herzen.
Gegenmittel: Grenzen setzen. Lernen die eigenen Gefühle zu spüren und das Unbehagen emotional schwieriger Situationen auszuhalten. Im Wissen, dass ich genug und wertvoll bin. Grenzen setzen: «Es ist genug». Neue Wege suchen. Die Ängste an der Wurzel packen. Ein Leben in Verbundenheit führen, bedeutet, mir und anderen Grenzen zu setzen.
Auch dieser Punkt spricht mich an. Es ist ja nicht so, dass ich mich besaufen würde, um mich zu betäuben. Aber ich entdecke durchaus Muster, mit denen ich unangenehme Gefühle versenke statt auszuhalten. Es geht übrigens nicht darum, was wir tun, sondern warum wir etwas tun. Ich kann z.B. Schoggi mit grossem Vergnügen und Genuss essen oder aber als Versuch mich zu beruhigen, in mich stopfen. Wichtig ist, dass ich bewusst die Absicht hinter meinen Entscheidungen reflektiere. Und überlege, ob mich diese Entscheidungen einem Leben aus tiefstem Herzen näherbringt oder ob ich mich dann nur leer und auf der Suche fühle.
Hier kommt für mich auch die Beziehung zu Gott ins Spiel. Ich möchte lernen, diese Situationen wahrzunehmen und das Vakuum, den gefühlten Mangel Gott hinzuhalten. Mit ihm hinzuschauen. Mit ihm auszuhalten. Und so Trost, Halt und auch Perspektive zu erhalten.
Im Buch werden noch weitere Schutzschilde geschildert. Doch die drei genannten, sind diejenigen, die laut den Studien der Autorin am meisten verbreitet sind.

Fazit

Das Buch ist ein Aufruf zum echten Leben: Wer sich traut, sein Herz zu zeigen, erlebt tiefe Verbundenheit und Glück. Es lohnt sich, unsere Schutzrüstung abzulegen, uns menschlich zu zeigen. Denn Verletzlichkeit ist keine Schwäche, sondern der Schlüssel zu Mut, Kreativität und einem Leben aus vollem Herzen.


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